Jeden Tag spreche ich mit Dutzenden Menschen, einige Gespräche sind dienstlicher Natur, einige privat, viele belangloser Smalltalk. Von der kreativen Dehnung der Realität wegen eines unangenehmen Kunden mal abgesehen, habe ich dabei keinerlei Veranlassung zu lügen, sage die Wahrheit frei von der Leber weg, weil sie mir auch sehr wichtig ist. Mit einer Ausnahme. Kaum steige ich in ein Taxi ein, fange ich an hemmungslos zu lügen, ich weiß nicht warum. Meistens beginnt es damit, dass der Fahrer mir irgendeinen belanglosen Eröffnungssatz hinwirft, den ich wie einen Staffelstab aufnehme und damit losrenne:
»Ja, früher bin ich auch Taxi gefahren, bis zu dieser einen Nacht, als..«
»Eigentlich habe ich Medizin studiert, aber als mein Großvater im Testament verfügt hat, dass ich nur erben könne, wenn ich seine Schreinerei weiter betreibe..«
»Vor meiner zweiten Scheidung hatte ich auch noch einen Mercedes. Wie? Nein, ich seh nur so jung aus, in Wahrheit bin ich 43.«
»Bis letzte Woche war ich ja noch in Tunis, weil da dieses Golf Turnier..«
Es ist nicht allein die Lust an der Anbiederung oder gar Verachtung gegenüber dem Taxifahrer, nein, es lügt einfach aus mir heraus. Ich kann nicht erklären wo es herkommt. Sind es diese beigen Autos, die tief im Unterbewußtsein sitzende Hemmungen aufheben? Oder der Anblick der Taxiuhr, der mir so deutlich wie sonst nichts vor Augen führt, dass Zeit Geld ist? Hey, schon 4 Euro 50, schnell noch eine gute Geschichte erfinden? Ich bezahle viel, also nutze ich besser die Zeit sinnvoll um völlig frei erfundenen Nonsense von mir zu geben? Der Taxifahrer als bezahltes Publikum?
Und mit jedem Mal wächst die Angst, von einem Taxifahrer wiedererkannt zu werden, der mich nach meinen 2 Töchtern frägt, oder nach meinem krebskranken Chef.

Next Post Previous Post